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    Brasilien-Reise im Juli 2018

    von Tilman Leiwes

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Wohnquartiere auf der Plantage Daterra

♪♫ THEY HAVE AN AWFUL LOT OF COFFEE IN BRASIL ♪♫

Brasilien-Reise im Juli 2018 von Tilman Leiwes

Frank Sinatra hat in seinem coffee-Song ganz recht: Brasilien ist ein Land der Superlative! Es ist der fünftgrößte Staat der Erde - und der größte Kaffeeproduzent weltweit! Von den 9 Millionen Tonnen, die 2016 produziert wurden, stammten 3 Millionen aus dem südamerikanischen Land. 

1720 wurden Kaffeepflanzen in Brasilien eingeführt. Die Region Minas Gerais im Südosten zählt mit ihren fruchtbaren Humusböden in Höhenlagen von über 1 000 Metern und regelmäßigen Niederschlägen zu einem der renommiertesten Anbaugebiete. Unter diesen Bedingungen gedeiht der Kaffee gleichmäßig, aromatisch und geschmacksintensiv. Und dafür erhalten die Kaffeebohnen aus dieser Region regelmäßig internationale Prämierungen, wie zum Beispiel beim "Cup of Excellence“. 

Das klingt interessant! Viele gute Gründe für kaffeebegeisterte Menschen, sich den Giganten auf dem Markt einmal genauer anzusehen…

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Eine sehr gute Ernte 2018: Kaffeekirschen am Strauch

Unsere kleine Reisegruppe – vier Deutsche aus der Kaffeeszene – landen in Sao Paulo; nicht die Hauptstadt des Landes, aber Brasiliens Weltstadt für Geschäftsreisende.
Von dort geht es weiter nach Uberlândia. Jetzt ist Erntezeit im brasilianischen Winter und wir haben eine Verabredung auf einer der größten Plantagen der Region namens „Daterra“. Die Farm wurde 1976 gegründet, der Name heißt übersetzt „von der Erde“ und ist durchaus Programm. Denn der Gründer will etwas von der Erde leihen und es zurückgeben, „sustainable coffee“, also „nachhaltiger Kaffee“ ist auf seinem Wappen nachzulesen.

Zum Kaffee kam der Nachfahre italienischer Einwanderer aus rein rationalen Erwägungen: Er kaufte den Grund und baute verschiedene Produkte an. Kaffeepflanzen fanden hier ideale Bedingungen: stabiles Klima, trockene frische Winter, feuchtwarme Sommer, mäßig heiße Tage, erfrischend kühle Nächte. Da der frischgebackene Plantagenbesitzer keine tradierten Anbaumethoden übernehmen konnte, entwickelte er alle Arbeitsschritte neu, immer mit dem Ziel Effizienz und Nachhaltigkeit vor Augen.
Auf einer Karte wurde uns im Verwaltungsbüro der Aufbau der drei zu Daterra gehörenden Plantagen erläutert. Ein großer Teil des Areals wurde als Schutzgebiet im Naturzustand belassen oder sogar wieder aufgeforstet. Der Rest wurde in kleine Areale aufgeteilt und so bewirtschaftet, dass auf einem Feld viele einzelne Parzellen jeweils perfekt bestellt werden.
 
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Aufzucht neuer Kaffee-Pflanzen
Dazu gehört auch eine ausgeklügelte Bewässerung. Durch ein System von Rohren im Boden wird auf 20, 40 und 60 cm Tiefe die Feuchtigkeit genau kontrolliert und ein Wassermangel durch Beregnung kompensiert. Dafür werden sowohl kreisrunde Beregnungsanlagen eingesetzt als auch unterirdische.
Nach dem Mittagessen ging es auf eine Tasse Kaffee - ins Labor. Hier werden erste „Samples“ geröstete und danach in jeder erdenklichen Variation zubereitet, um den perfekten Zeitpunkt für die Ernte zu bestimmen: mit Siebträger, French Press, Cold Drip, Nespresso….

Nach einem Schluck Wasser ging es weiter zur Aufzucht der Setzlinge. Diese wachsen unter einem Netz, das nur 50% des Lichts durchlässt. Es dauert ca. 60 Tage, bis das erste Grün zu sehen ist, und sechs Monate, bis die Pflänzchen aufs Feld können. Wenn sich bis dahin mehr als vier Blattpaare gebildet haben, müssen sie davor erst noch gestutzt werden. Sonst verlieren sie zu viel Wasser durch Evaporation und vertrocknen in der ersten Zeit. Wichtig ist außerdem, dass der untere Wurzelteil abgeschnitten wird, da dieser sonst durch die Plastikfolie nicht gerade nach unten wächst. Dann wäre die Stabilität der ausgewachsenen Pflanze und ihre Fähigkeit, Wasser aus tieferen Schichten aufzunehmen, eingeschränkt.
Danach haben wir noch Versuchsfelder besichtigt. Kunden können nämlich bei Daterra Versuchsreihen in Auftrag geben, wie etwa mit Beschattungen, die in vielen anderen Ländern üblich sind. Auf dieser Plantage spricht allerdings einiges gegen Schattenbäume: Maschinen-Ernte ist nicht möglich, es verursacht mehr Arbeit, bringt aber nur wenig mehr Profit… Die gesammelten Erfahrungen werden nicht nur auf der Plantage Daterra genutzt, sondern sollen auch helfen, den Boden in ganz Brasilien zu verbessern.
Und dann lief ja auch noch die Fußballweltmeisterschaft! Brasilien spielt und abends gesellen wir uns zu den heimischen Fußballfans in einer Bar. Die Brasilianer bleiben komplett ruhig, bis der Ball zehn Meter vor dem Tor ist und dann brüllen alle los! Das erste Tor gegen Belgien fällt, jedoch ist das Glück nicht auf unserer Seite und Brasilien fliegt raus. Ein Brasilianer und ich kommunizieren miteinander, ganz ohne Portugiesisch, Englisch oder Deutsch. Zum Fingerzeig von 7:1 – die Erinnerung an das legendäre Spiel gegen Deutschland 2014 - reicht es doch…
 
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Ein Traktor zieht eine Erntemaschine
Der nächste Tag beginnt mit einem tollen Frühstück und einem guten Kaffee. Als erstes Ziel sind wir zu einem runden Feld mit Pflanzen gefahren, die dieses Jahr das erste Mal Früchte tragen. Da die Pflanzen noch zu klein sind für eine maschinelle Ernte, konnten wir dort die Handarbeit live sehen: Als erstes breiten die Arbeiter eine Plane in der Gasse zwischen den Pflanzen aus und streifen dann alle Kirschen eines Zweigs der Reihe nach ab. Dass dabei auch grüne und überreife abkommen, ist kein Problem, die Sortierung findet eh danach noch statt.
Sehr schön können wir bei der Führung durch die Anlagen sehen, wie gleichmäßig die Kirschen dieses Jahr sind. Überall in Brasilien wird die diesjährige Ernte sehr gelobt.
Unser nächstes Ziel war die maschinelle Ernte. Die wird mit kleinen wie halbiert aussehenden Traktoren bewerkstelligt, die eine Konstruktion auf beiden Seiten einer Reihe entlang ziehen. Auf jeder Seite ist eine hohe Bürste ähnlich der in einer Auto-Waschanlage. Ein Sammler transportiert über einen Korbaufzug die Bohnen in je einen Tank pro Seite. Die Bürsten vibrieren sehr stark und drehen nur sehr langsam, die Bohnen lösen sich dadurch und fallen herunter auf die Auffang-Platten. Am Ende jeder Seite können die Tanks hochgefahren und in einen LKW entleert werden.
 
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Ein Versuchsfeld mit naturbelassenen Kaffeepflanzen: Naturals
Zum Schluss konnten wir noch ein Feld mit „Naturals“ sehen: An diesen Sträuchern hängen die Kirschen so lange, bis sie von alleine auf ein Netz am Boden fallen. Das Feld, gepflanzt im Januar 1972, gehört zu den ältesten der Region Cerrado. An diesen Pflanzen werden keine weiteren Arbeitsschritte mehr vorgenommen: Sie werden nicht abgeschnitten, um sie schmal und produktiv zu halten, sondern einfach wachsen gelassen. Nicht einmal eine Bewässerung ist dort vorhanden. Das Ergebnis: ein bogenförmiger Gang, die Luft unter den Pflanzen ist sehr angenehm kühl und feucht. Erstaunlich ist auch, wie ungewöhnlich dick die Stämme hier sind. Aber am meisten fasziniert waren wir, wie gesund die Blätter aussehen. Wir sind uns sicher, dass sich hier nur halb so viele Wurmflecken und Fraßspuren auf den Blättern finden wie auf den aktiv bewirtschafteten Feldern. Die Kirschen schmecken dazu sehr süß.
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"Tasting" im Daterra Labor
Das „Cupping“ folgte direkt darauf. Am Anfang steht das Riechen: an dem frisch gemahlenen Pulver, danach an der aufgegossenen Tasse. Es folgt das sogenannten „breaking, bei dem mit einem Löffel die oben auf der Tasse schwimmende Kruste abgeschoben wird und der Verkoster seine Nase direkt darüber hält. Jedes Mal wurden die Eindrücke in einer Tabelle zur Beurteilung des Geschmacks festgehalten. Jede Sorte wird immer dreimal aufgegossen, falls sich eventuell einmal eine schlechte Bohne eingeschlichen haben sollte. Nachdem die Mitarbeiter mit zwei Löffeln den Prütt aus der Tasse geschöpft hatten, konnten wir endlich probieren. Man trinkt aber keinesfalls aus der Tasse, der Kaffee wird mit einem Löffel entnommen und schlürfend in den Mund gesaugt, dann der Löffel abgespült und der Test-Kaffee in ein Edelstahlgefäß gespuckt. Nach dieser Zeremonie wird Kaffee in aller Welt verkostet; Besonderheit in Brasilien: ein paar Affen hüpften vorbei und ein grüner Papagei schaute durch die Tür.
Interessant ist am Ende der Vergleich der Ergebnisse. Die Fachleute nutzen einen speziellen scoring-Zettel, auf dem der Kaffee nach einzelnen Kriterien Punkte von 1 bis 10 erhält. Für die Daterra-Qualität „classics“ werden Durchschnittswerte von ca. 80-82 vorausgesetzt, für die beste Gruppe, die „Masterpieces“, ist ein Wert von 90 notwendig. Wir stellen fest, dass Geschmack doch sehr unterschiedlich bewertet werden kann: Ein Mitreisender freut sich an dem ausgefallenen Geschmack der Naturals, den sein Kollege so scheußlich findet, dass er ihn für einen Defekt hält! Bei der Sorte „Full Bloom“ fand sogar ich den Geschmack eher modrig…
 
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Der "Pulper" löst das Fruchtfleisch von den Kaffeekirschen und sortiert nach Reifegraden
Danach schauen wir uns die weitere Verarbeitung an: die Anlagen zum Waschen, Sortieren und Pulpen des Kaffees. Der Kaffee wird oben in drei Trichter eingefüllt, entweder direkt vom LKW (nach Maschinenpflückung) oder mit Kran aus Packs. Als erstes wird die Ernte durch ein Sieb geschickt, das alles Grünzeug aussortiert. Danach kommen die Kirschen in ein Wasserbad, in dem sie in schwimmende, das bedeutet defekte, und sinkende sortiert werden. Eine Sortierung nach Größe erfolgt durch Siebe. Direkt weiter geht es mit der Sortierung nach Härte des Fruchtfleisches. Platzen die Kirschen früher auf, sind sie reifer, andere lösen sich erst mit mehr Kraftaufwand von der Bohne. Ein Sieb trennt die geöffneten von den geschlossenen Kirschen. Das Fruchtfleisch wird kompostiert und zur Düngung des Bodens verwendet. Eine beeindruckende Anlage!
 
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Frisch gepulpte Bohnen schwimmen zur weiteren Sortierung
Aber noch sind die Bohnen nicht exportfertig: Sie müssen noch getrocknet werden. Auf Trockenflächen liegen die Bohnen in endlos langen Reihen, sowohl schon gepuled, als auch die Naturals mit getrocknetem Fruchtfleisch ausgebreitet. So wird der Kaffee ein bis zwei Tage luftgetrocknet und dann weiter verarbeitet. Im Gebäude direkt nebenan steht der „Mechanical Dryer“: In großen Siebtrommeln wird der Kaffee bei 60 Grad getrocknet, beheizt mit Daterra- Holz.
 
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Computergesteuerte Sortiermaschine
In einem weiteren Testlabor werden die Bohnen auf Größe und Gleichmäßigkeit und überprüft. Nach ein Paar Tassen Wasser und einem Kaffee geht es weiter zu den Silos. Das kleinste fasst 300 Säcke, das größte 1000. Es bleiben noch die Verfeinerungsanlagen wie der Entsteiner und die Sortier-Maschinen. Mithilfe von Luft können sie nach Größe und Dichte sortieren. Wir konnten auch eine neue Maschine in Augenschein nehmen, die digital arbeitet, um schwarze Bohnen herauszusuchen. Phenolhaltige Bohnen werden unter UV-Licht erkannt (Phenole entstehen, wenn eine Strauch in den Not-Modus umsteigt, zum Beispiel aus Wassermangel). Solche Exemplare leuchten unter UV-Licht. Am Ende der Führung gelangten wir ins Lager und haben die Anlage zur Vakuum-Verpackung gesehen. In Versuchen hat sich die Qualität in den verschweißten Kartons in drei bis fünf Jahren nicht verändert.

Dann hieß es Beeilung! Eine Überraschung wartete auf uns: Mit einem Bulli wurden wir zu einem komplett gedeckten Tisch am Rand einer Präservation-Area chauffiert. Von einer Plattform aus hatten wir den perfekten Blick auf einen Wasserfall und den Sonnenuntergang. Ein toller Ort, wieder ein tolles Essen, und zum Abschluss eine tolle Tasse Kaffee, aus einer French Press Kanne.